Buchkritik: „Sadiconazista. Faschismus und Sexualität im Film“ (2000)

Selbst kulturell fremdenfeindliches Werk über Naziploitation 3/10 Ausbeutungen *

Signifikant ist dieser Band aus meiner Sicht vor allem deshalb, weil er eine Haltung gegenüber der populären Kultur in Deutschland eher wiedergibt als kritisiert, welche diese gegenwärtig indiziert, beschlagnahmen und womöglich noch vernichten lässt.

Schon ideologisch vehement einem dogmatischen Realismus folgend, der voll kompatibel zu etablierten Vorstellungen wie der eines Michael Haneke alles was gezeigt wird scheinbar als gewollt ansieht: bei einem Film mit realistischem Anspruch wie dem „Nachtportier“, oder meinetwegen noch Grenzgängern wie dem „Salon Kitty“ von Tinto Brass, ist das sicherlich auch legitim, aber Stiglegger geht doch viel weiter – tatsächlich in die Tiefe, denn zweifelos zu einem als Bodensatz zu wertendem Sub-Genre im Genrefilm selbst. Wie billig und formal schlecht diese Filme auch immer sein mögen soll hier nicht das Thema sein. Ebenso wenig wie die in jedem Fall fragwürdige, für mich eindeutig falsche, titelgebende Begriffskonstruktion aus „Nazi-“ und „Sexploitation“, und nicht „Exploitation“. Tatsächlich können sich Exploitation-Filme doch nicht nur auf Gender beziehen, sondern auch noch auf etwas ganz anderes. Exploitation im Kino ist so auch nicht unbedingt der malevolente Gebrauch eines Gegenstandes oder gar einer Person, sondern vielmehr die freche über freizügige bis zügellose Verwendung einer Idee, welche dann aber auch halt einem Realismus zuwider läuft – diesen sogar torpediert(/en kann). Stereotype spielen darin freilich eine gänzlich andere Rolle als im Realismus, und so weiter. Die Thematisierung des Nationalsozialismus in erotisch-sexuellen, vereinzelt gar pornographischen Darstellungen darin aber stets integrativ und nicht ambivalent zu interpretieren, und so den Filmen pauschal eine positive Haltung zum Nationalsozialismus zu unterstellen, empfinde ich einfach als verantwortungslos und eben selbst fremdenfeindlich. Auf die Idee, dass der Nationalsozialismus ähnlich wie das Phänomen der Gewalt als solches Einzug in ein Grindhouse-Kino als negativ-abschreckendes Beispiel erhalten hat, käme Stiglegger nach diesem Buch und auch anderer Veröffentlichungen offenbar überhaupt nicht: damit angreifbar machen, und wahrscheinlich auch erfolgreich sein, kann er mit dieser realistischen Kritik so für mich eigentlich selbstverständlich ausschließlich bei realistischen Filmen, welche halt auch VORGEBEN Lebenswirklichkeiten abzubilden, oder zumindest im Ansatz authentisch zu sein. Das ginge vielleicht noch bei Visconti durch, aber wohl kaum bei „Weibsteufeln“ von der SS Und anderen Kram.

Dabei für seine Behauptungen, derlei Nazi-Fetisch wolle die biedere Ideologie erotisieren, womöglich noch auf Michel Foucault und dessen ablehnendem Urteil dahingehend zu verweisen, tut jemandem bei dem Träume und Fantasien doch wohl kaum zu seinen kompetentesten Gebieten zu zählen sind, ebenso wie abseitigere Geschmäcker zu seinen Stärken, wohl auch einigermaßen Unrecht als Auskunftsperson.
Dass es jemand überhaupt scheinbar nötig hat auf den biederen Charakter des Nationalsozialismus heutzutage noch immer zu verweisen, halte ich eher für einen Hinweis wie sehr dessen menschenverachtende Ideologie eben nichts Großartiges darstellt, so aber noch immer in Köpfen herumspukt, und womöglich noch immer auch um sich greift, als wie sehr irgendwer De Sade „verinnerlicht“ habe wie man anhand solcher Filme sehe, und anderer moralischer Empörung… Warum nichtmal wieder nach Bayreuth gehen, anstatt vernichtende Urteile über einschlägige Videotheken zu fällen?
Nun, sicher kann man nach wie vor auch zu Robert Jungk schreiten, um etwas über Perry Rhodan zu erfahren: am Ende wird man dann aber womöglich selbst mit einigem Haß überfrachtet auch mehr Nazis sehen als überhaupt je da waren. Als Historiker gesprochen. Und ich werde das nächste Mal selbstverständlich ebenfalls jubeln, wenn diese „Gören“ in „Sin City“ – die ich schon einmal hier beschrieben habe, aber aus unerfindlichen Gründen (nachträglich) zensiert wurden -, mit Swastikas um sich werfen, wobei ich diese Haltung mit einiger Begründung ganz einfach folgendermaßen nenne: Reflexion. Ohne damit im Unterschied zu Herrn Stiglegger irgendjemandem zu nahe zu treten.

Andererseits geht der Autor bei seiner Analyse von Stereotypen wieder gar nicht weit genug, oder wo bleiben dabei die frühen amerikanischen Superheldencomics oder die mindestens in einem Fall ebenfalls erotischen Nazi-Abziehbilder in den Indiana-Jones-Filmen? Einem Steven Spielberg noch ähnliche Ansinnen zu unterstellen wäre auch wirklich zu weit gegangen… Am Ende gibt sich bei derlei Verurteilung von Sexploitation-Filmen für mich auch kein wirklicher Unterschied in der Gedankenwelt und Geisteshaltung des „Ikonen“-Herausgebers Stiglegger zwischen „Exploitation“ in der Ökonomie und der Medientheorie zu erkennen. Schade. Keine Empfehlung

Nachtrag, exklusiv für hier: mein Hinweis auf Mängel in der Darstellung bezog sich naturgemäß auf keine grundsätzliche Ausblendung im Band, wohl aber verkürzten Auszügen daraus, sondern dem Verzicht etablierteren Sexualisierungen des Nationalsozialismus eben NICHT mit ähnlichen Vorwürfen zu begegnen. Als Ursache dafür sehe ich hier schon (auch) gewisse Überlegenheitsdünkel, welche ein sauberer Intellekt gebiert der halt womöglich auch nicht ungünstig wo touchieren möchte
Anscheinend leider unverzichtbar bei einem Vorhaben die Verwendung von Stereotypen so anzugreifen

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Eine Antwort to “Buchkritik: „Sadiconazista. Faschismus und Sexualität im Film“ (2000)”

  1. Amazon.de – Kritik an Marcus Stigleggers „Nazi Chic“ offenbar unerwünscht, ab in den „Trash“ damit | Der Almrausch Says:

    […] löschte nun auch obige Rezension von „Terrorkino“, sowie anscheinend ebenfalls meinen ursprünglich bereits über zwei Jahre alten Text zu „Sadiconazista“. Das nenne ich in Anlehnung an Claudia von Werlhof mal eine Hexer-Verfolgung. Die Leute welche da […]

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